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Alt werden gerne, aber nicht alt sein?

Pfarrerin Elisabeth Schell
Pfarrerin Elisabeth Schell

Ich besuche viele alte Menschen. Zum Geburtstag – zum siebenundachtigsten, zum dreiundneunzigsten,  zum hundertsten … Oder einfach zwischendurch im Altenheim. Immer wieder höre ich den Satz: Alt werden wollen alle. Aber wer will schon alt sein?

Altgewordene Menschen erleben oft Mühsal und Einschränkungen. Die Knochen schmerzen, das Hörgerät tut es nicht, das Gedächtnis lässt nach, die Inkontinenz nimmt zu. Viele erleben: Mit der modernen Welt und dem Tempo an Veränderung komme ich nicht mehr mit. Manche sagen: Was ich früher in zwei Stunden schaffte, braucht heute den ganzen Tag. Gardinen waschen, Schweres tragen, Garten pflegen, Schnee schippen – vieles geht gar nicht mehr. Es braucht viel Anlauf für die Aufgaben des Tages. Es braucht die Zuversicht, dass auch das Bisschen, was ich leiste, Sinn macht und genug ist. Es braucht den Mut, um Hilfe zu fragen. Es braucht Andere um mich herum, damit ich nicht vereinsame, nicht „komisch“ werde. Andere, die mir zeigen, dass ich ihnen wichtig bin. Es braucht einen Halt im Leben – für manche ist das etwas aus der Glaubenstradition: ein Liedvers, ein Trostwort. Es braucht funktionierende Hilfesysteme, rücksichtsvolle Mitmenschlichkeit, lebendige Nachbarschaften. Es braucht eine Gesellschaft, die Alte ehrt.

Die Bibel ist voll von sehr verschiedenen Aussagen und Einsichten über das Alter. Eine fasziniert mich besonders – im 2. Korintherbrief, Kapitel 4, Vers 16. „Unser äußerer Mensch verfällt“, steht da. Stimmt: Ich irdischer Mensch werde hinfällig, meine äußeren Kräfte werden aufgezehrt. Das macht mein Leben beschwerlich. „Doch der innerliche Mensch wird von Tag zu Tag erneuert“, heißt es weiter. Wenn das auch stimmt, dann wächst da etwas in mir, was ich zukünftig sein werde. Dann ist Altern nicht allein Abbau. Dann ist es auch ein Wachsen auf verheißene Zukunft hin. Dann lebt in mir große Hoffnung: Es kommt noch etwas. Dann ist Alt-Sein genauso erstrebenswert wie Alt-Werden.

Elisabeth Schell,
Pfarrerin in der Evangelischen
Kirchengemeinde Kleve
Telefon 02821-453031
Elisabeth.Schell@ekir.de

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