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Ein Glas mit Scham

Bericht vom online-Neujahrsempfang des Schulreferats Duisburg/Niederrhein

Bild: Dr. Stephan Marks

Niederrhein.
Scham – nur wenige Emotionen lösen so starke Gefühle aus. Sie lässt Menschen aggressiv werden, andere igeln sich ein. Scham wird von Generation zu Generation weitergetragen, sie liegt auch in den Genen. Sie kann durch Familie und Freude sowie durch die Lebenssituation eines Menschen größer oder kleiner werden.

„Jeder Mensch hat ein unterschiedlich großes Glas, in das Scham jeden Tag ein- und ausgegossen wird“, sagt Dr. Stephan Marks. Denn wer Scham erlebt, verteilt sie bisweilen auch selbst genüßlich weiter. Der Soziologe Marks war während des in diesem Jahr digitalen Neujahrsempfangs des Schulreferats Duisburg/Niederrhein in einem Vortrag zu sehen, den er in Berlin gehalten hatte. „Viele Berufe haben mit Scham zu tun“, meint Marks darin. Zum Beispiel Berufe, in denen Mitarbeitende sich schämen, wie sie aufgrund von Zeitdruck mit Menschen umgehen. Sie täten es, um den Job zu behalten. Hanna Sauter-Diesing als Schulreferentin des in diesem Jahr gastgebenden Kirchenkreises Kleve führte mit den anderen beiden Schulreferenten Barbara Melnik und Jan Christofzik durch sehr kurzweilige zweieinhalb Stunden am Computer-Bildschirm.

Neben den Schulreferenten sagte Superintendent Hans-Joachim Wefers in seinem Grußwort den anwesenden Lehrkräften herzlichen Dank für ihre Dienste. Auch an Schulen sei die Menschenwürde in Gefahr. „Das Aushalten anderer Meinungen findet immer weniger statt und in sogenannten „sozialen“ Medien gehen Menschen sehr schnell aufeinander los“, kritisierte Wefers.

„Die Scham als Emotion ist auch unter Fachleuten lange als Aschenputtel behandelt worden“, berichtet Marks weiter. Auf die Wächterin der Würde, die Scham, kam er durch die Beschäftigung mit der Frage, warum der Nationalsozialismus 1933-1945 passieren konnte.

Schon früh, mit rund 2 Jahren, entwickeln Kinder ihr Schamgefühl. Die Fähigkeit, auf sich selbst zu sehen. Jeder kennt oder hat prägende, vielleicht sogar traumatische Geschichten erlebt. Erwachsene, die bis heute nicht singen, weil jemand gesagt hat, man könne es nicht. Es gäbe unterschiedliche, auch extreme Wege, wie Menschen mit Scham umgehen, so Marks. Er erzählt von zwei Schülern, die durch die Abiturprüfung gefallen waren. Der eine entwickelte großen Ehrgeiz, die Prüfung im nächsten Jahr zu schaffen, der andere beging Selbstmord.

Scham wird als Triebfeder auch von Menschen selbst oft erst spät verstanden. So stand ein Gymnasiallehrer während einer Fortbildung von Marks auf und sagte: Er merke jetzt erst, dass er sein Berufsleben lang die gleichen Beschämungen an seine Schüler weitergegeben hat, wie er sie selber erfahren hatte. Von „Schamüberflutung“ spricht Marks, wenn das „Glas Scham“ überläuft. Wenn ein zuvor „beschämter“ Mensch anschließend im Kollegium oder im Team oder bei Freunden kein Verständnis fände. Sätze wie „das hättest du aber im Griff haben müssen“, fallen dann. Und emotional fallen Türen zu.

Die Masterlösung, um mit persönlicher oder struktureller Scham und Beschämungen umzugehen, hatte auch Marks nicht. Humor schaffe jedoch Abstand und bisweilen Erlösung. Die Begriffe Ehrlichkeit, und Augenhöhe fielen in den Diskussionen zwischen den Vortragsteilen. Sehr lebendig der digitale Neujahrsempfang – ohne Corona hätte das Format so nicht stattgefunden.

Barbara Melnik warb vor dem Segen für den Neujahrsempfang  im September 2021 im Kirchenkreis Duisburg. Dann als Präsensveranstaltung, mit Kleinkünstler Oliver Steller. Der studierte Gitarrist verknüpft Musik und Literatur, er rezitiert und vertont Gedichte.

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